Start Wirtschaft Seed von Klang Games: Die 80-Millionen-€-Wette aus Berlin-Kreuzberg

Seed von Klang Games: Die 80-Millionen-€-Wette aus Berlin-Kreuzberg

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Seed ist eines der derzeit größten Games-Projekte, die in Deutschland entstehen (Abbildung: Klang Games)
Seed ist eines der derzeit größten Games-Projekte, die in Deutschland entstehen (Abbildung: Klang Games)

In Berlin-Kreuzberg entsteht eines der teuersten und ambitioniertesten Games des Landes: Klang Games will mit Seed die Branche revolutionieren.

Aus heutiger Sicht gibt es vermutlich nur zwei realistische Szenarien, wie die Sache ausgehen könnte: Entweder entwickelt sich aus der Idee ein teslaesker Welterfolg, von dem Experten erst im Nachhinein behaupten werden, sie hätten ab der ersten Sekunde an das Potenzial geglaubt. Oder das Projekt implodiert irgendwann in einem gigantischen Feuerball – und die selben Experten sind sich sehr einig, dass es sich vom Start weg um eine Schnapsidee ohne jede kommerzielle Perspektive gehandelt hat.

Denn für einen ‚okayen‘ oder mittelguten Ausgang des Experiments sind die Wetten, die das Team rund um den gleichermaßen charismatischen wie zurückhaltenden CEO Mundi Vondi eingeht, schlichtweg zu substanziell: In mehreren Finanzierungsrunden hat die 2013 gegründete Berliner Klang Games GmbH rund 77 Millionen Dollar eingeworben, davon allein 44 Millionen im Sommer 2022. Das Geld kommt von renommierten Investoren und Risikokapital-Gebern, darunter Kaliber wie Makers Fund, Animoca Brands, LEGO Ventures und Supercell.

Sie alle glauben an die kühnen Pläne eines Startups, dessen Produkt nach vielen Verzögerungen spätestens 2025 in den Early-Access-Betrieb gehen soll. Eine vergleichbare Größenordnung für ein Debüt-Spiel erreicht derzeit allenfalls das Frankfurter Studio Gunzilla Games, das für den Blockchain-Shooter Off the Grid kürzlich weitere 28 Mio. € eingesammelt hat.

Das Geld fließt in Infrastruktur und Personal: Mit 70 Beschäftigten in einem 1.700 Quadratmeter großen Neubau-Büro in Berlin-Kreuzberg unweit der U-Bahn-Station Kottbusser Tor zählt Klang Games zu den größten Spiele-Entwicklern in der Hauptstadt-Region. Vondis Co-Gründer Oddur Snaer Magússon und Ívar Emilsson haben viele Jahre beim isländischen EVE Online-Hersteller CCP Games gearbeitet, sind mit Blick auf Online-Rollenspiele also im Stoff. Vondi selbst war zuvor als Künstler und Grafik-Designer tätig – Klang Games ist sein erstes Games-Unternehmen.

Der Isländer Mundi Vondi führt als Co-Gründer und CEO die Geschäfte von Klang Games in Berlin (Foto: Klang Games GmbH)
Der Isländer Mundi Vondi führt als Co-Gründer und CEO die Geschäfte von Klang Games in Berlin (Foto: Klang Games GmbH)

Seed von Klang Games: Die 80-Millionen-€-Wette

Der volle Klang-Fokus liegt seit 2017 auf dem Projekt Seed – ein ‚Society Simulator unlike any other‘: Geplant ist eine riesige, persistente, atmende, vibrierende Online-Welt mit Tausenden von Bewohnern (den ‚Seedlings‘), deren Tagesablauf auf dem Planeten Avesta permanent simuliert wird – also eine Art Metaverse, dessen Idee entstanden ist, bevor der Begriff erfunden, gehypet und verwässert wurde.

Genau dieses 24/7-Konzept unterscheidet Seed von klassischen Online-Rollenspielen – und erklärt auch, warum ein Spiel dieser Dimension bislang weder technisch noch finanziell darstellbar gewesen wäre, sagt Vondi. Die dafür nötigen Server-, Cloud- und KI-Kapazitäten waren bis vor kurzem schlichtweg unerschwinglich.

Nach wie vor befindet sich das Spiel in Entwicklung. Daher produziert die Firma seit Jahren konsequent Jahresverluste in Millionen-Höhe – ohne dass bislang nennenswerte Einnahmen entstanden wären. Im jüngsten Geschäftsbericht gibt es dafür den schönen Begriff der „Vorumsatzphase“.

Überhaupt legen öffentlich zugängliche Dokumente ein vergleichsweise offenherziges Zeugnis ab, wie sehr Klang Games mit der internen Organisation beschäftigt war und ist – mit regelmäßig wechselnden Zuständigkeiten, Konzepten, Strukturen, Prozessen, Abläufen, zwischendrin ein Umzug. Die Fluktuation: hoch, trotz sportlicher Gehälter, die offenkundig nötig sind, um international gefragte Entwickler und Game-Designer anzuheuern. Im GamesWirtschaft-Gespräch räumt Vondi ein, dass unterwegs Fehler passiert seien, die man mit großem Aufwand habe korrigieren müssen.

Spielszene aus Seed: Der Alltag jedes einzelnen 'Seedling' soll rund um die Uhr simuliert werden (Abbildung: Klang Games)
Spielszene aus Seed: Der Alltag jedes einzelnen ‚Seedling‘ soll rund um die Uhr simuliert werden (Abbildung: Klang Games)

Wie Seed die Games-Industrie revolutionieren soll

Die Seed-Welt soll mehrere Mechaniken zusammenbringen, so dass sowohl Intensiv-Spieler als auch Gelegenheits-Nutzer mit wenig Zeit hinreichend Beschäftigung finden. Denn den Seed-Kunden steht es frei, ob sie sich Sims-like auf die Dekoration ihrer Wohnung fokussieren, ein Restaurant eröffnen, als Arzt tätig werden oder sich eher der übergeordneten Politik und Verwaltung widmen.

Vondi macht keinen Hehl daraus, dass man sich von den Sims habe inspirieren lassen. Dazu passt, dass mit der Brasilianerin Isabella Henriques eine erfahrene Führungskraft von Electronic Arts abgeworben wurde, die in Madrid fast sechs Jahre als Studio Director für Live Services von EA-Sports-Spielen und eben Die Sims verantwortlich war. Henriques weiß, was in Online-Spielen funktioniert und was nicht – und soll dieses Know-How als Co-CEO und COO einbringen.

Dies gilt auch für die Monetarisierung, denn wie sich Seed refinanzieren soll, ist noch nicht final entschieden: Ein Free2Play-Modell mit In-Game-Marktplatz liegt nahe, um schnell nennenswerte Reichweiten aufzubauen. Gleichwohl kostet jeder zusätzliche Spieler laufend Geld in Form von Server-Kapazitäten, egal ob er Seed spielt oder nicht.

Deshalb werden auch Alternativen diskutiert – zumindest theoretisch in Frage kommen somit Abos, NFTs oder Saison-Pässe. Klar ist nur: Seed startet als PC-Spiel bei Steam, flankiert von einer ‚Companion-App‘, mit der sich auch unterwegs via Smartphone eingreifen lässt.

Analog zum Dauerbrenner Die Sims lassen sich die Gebäude in Seed nach eigenen Vorstellungen gestalten (Abbildung: Klang Games GmbH)
Analog zum Dauerbrenner Die Sims lassen sich die Gebäude in Seed nach eigenen Vorstellungen gestalten (Abbildung: Klang Games GmbH)

Seed von Klang Games: So geht es jetzt weiter

In den kommenden Monaten will Klang Games nun den jahrelangen ‚Mystery-Mode‘ verlassen, Kooperationen schmieden und die Testläufe ausweiten – mehr Spieler, mehr Live-Daten, mehr Sichtbarkeit. Spätestens in der Early-Access-Phase wird sich auch zeigen, ob und wie der außergewöhnliche Grafik-Stil beim Publikum ankommt.

Echten Zeit- und Umsatz-Druck hat das Studio aber weiterhin nicht: Erst im September 2023 kamen weitere 2 Mio. € vom Bundeswirtschaftsministerium hinzu – allerdings nicht im Rahmen der klassischen Games-Förderung, sondern als Teil des Programms zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.

Bei einem Kontostand von roundabout 40 Mio. € und einer monatlichen ‚Burn-Rate‘ von zuletzt 700.000 € kann Klang nach eigenen Angaben noch jahrelang durchhalten – sofern zwischenzeitlich nicht die Investoren nervös werden. In Spaniens Hauptstadt Madrid entsteht sogar eine weitere Filiale, für die ebenso wie in Berlin nach Personal gefahndet wird.


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1 Kommentar

  1. Wir bekommen mit Seed:
    – ästhetisch nichts neues
    – spielerisch nichts neues
    – Finanzierungsmodelle aus der Hölle

    Aber was soll man auch erwarten: Wenn Supercell dabei ist werden wir hier nur ein weiteres Spiel vom Plattform-Kapitalismus bekommen im neuen Gewand. Das dies von unserem Staat gefördert wird ist wirklich traurig – wir sollten Spiele fördern, die Nachhaltig sind. Seed wird es nicht sein – es wird belanglos und süchtig machend sein. Und es wird dem bewussten Gaming schaden – den wir gerade mehr denn je brauchen.

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