Start Meinung A Sky Full of Stars (Fröhlich am Freitag)

A Sky Full of Stars (Fröhlich am Freitag)

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Maß aller Dinge in der Spitzengastronomie: der Michelin-Stern (Foto: GamesWirtschaft)
Maß aller Dinge in der Spitzengastronomie: der Michelin-Stern (Foto: GamesWirtschaft)

In der Gastronomie sind Sterne und Hauben weiterhin das Maß aller Dinge – die Games-Industrie hat sich von Sternchen und Prozenten emanzipiert.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

auf Amazon Prime Video läuft seit kurzem eine wirklich sehenswerte Doku-Serie über Deutschlands Spitzengastronomie. Titel: Star Kitchen (Trailer). Der Berliner TV-Gastronom Tim Raue – selbst mit zwei Michelin-Sternen dekoriert und nach Gelehrten-Meinung einer der 50 besten Köche des Planeten – besucht Kollegen im ganzen Bundesgebiet.

Darunter sind junge Küchenchefs, die sich gerade ihren ersten Stern erkocht haben und diesen unununbedingt halten wollen (und müssen) – und solche, die gerade erst frisch eröffnet haben und dringend den Stern brauchen, damit der Laden überhaupt eine Überlebens-Chance hat. Das enorme Invest in Pacht, Mobiliar, Personal und Weinkeller sowie die daraus resultierenden gesalzenen Preise, die für 5-, 7-, 12-Gänge-Menüs aufgerufen werden, lassen sich nur mit Michelin-Sternen rechtfertigen.

Kein Stern, keine Auslastung, keine Wartezeiten, kein Hype, kein Umsatz.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Die Doku zeigt anschaulich den enormen wirtschaftlichen, aber auch mentalen Druck, unter dem die Unternehmer stehen. Denn die hauptberuflichen Restaurant-Tester, die am Ende über die Vergabe der Sterne entscheiden, tauchen unterjährig unangemeldet und inkognito auf – mal alleine, mal als Paar, mal als Gruppe. Bedeutet: Jeder einzelne Gang muss nicht nur kreativ, komplex, vielschichtig, überraschend und lecker sein, sondern auch handwerklich ohne Tadel – und zwar durchgängig, jeden Abend, sommers wie winters. Nur wer konstant auf hohem und höchstem Niveau abliefert, bekommt im Frühjahr die ersehnte TÜV-Plakette für eine weitere Saison.

Die Zahl der Edel-Butzen wächst, doch an der Spitze wird die Luft natürlich immer dünner: In ganz Deutschland gibt es Stand März exakt 340 Sterne-Restaurants (so viele wie nie), aber gerade einmal zehn Etablissements mit drei Sternen – je eins in Berlin, Hamburg und München, aber auch in 2.000-Seelen-Nestern irgendwo in der pfälzischen oder badischen Provinz.

Denn genau darauf gehen die Ursprünge des Guide Michelin zurück: Autofahrer sollten Anhaltspunkte bekommen, wann sich Umwege oder gar gezielte Gourmet-Abstecher zu entlegenen Gasthöfen lohnen. Weil es dort eben Kreationen und Geschmackserlebnisse gibt, die sonst nirgends serviert werden.

Nun ist die Premium-Gastro natürlich längst nicht die einzige Industrie, die auf den Punkt abliefern muss. Die Besonderheit resultiert aus der Sterne-Fixierung und dem zermürbenden Dauer-Druck, der etwas mit den Menschen (und ihrem Umfeld) macht.

Schließlich trainieren auch Sportler unterjährig hart, um dann ihre Leistungen bei Olympia oder in der Champions League auf den Punkt abzurufen. Trotzdem gibt es gerade bei Mannschafts-Sportarten stets einen ’nächsten Versuch‘ und damit die Chance auf Kurskorrektur: Selbst wenn beim Fußball-EM-Eröffnungsspiel die Schotten schon nach drei Minuten in Führung gegangen wären, wären der Nagelsmann-Truppe immer noch eineinhalb Stunden geblieben, um das Blatt zu wenden. Und selbst für den reichlich irritierenden Fall, dass der Auftakt in die Hose gegangen wäre, hätten sich in den zwei weiteren Gruppenspielen noch Rest-Chancen aufs Weiterkommen geboten.

In der Sterne-Küche geht das nicht: Wenn der Teller auf dem Tisch steht, ist keine Nachbesserung mehr möglich – dann muss die Wachtel zeigen, was sie kann. Wenn ungefähr alles auf Perfektion getrimmt ist, fallen winzige Fehlnoten umso mehr auf. Vor zwei Jahren hatten wir während eines Berlin-Wochenendes mal die Gelegenheit, einen spätrömisch-dekadenten Abend bei Raue zu verbringen. Service, Ambiente und Küche – überragend. Nur beim ’signature dish‘, dem Wasabi-Kaisergranat, fehlte offenbar eine Prise Salz, wie mein Mann rasch feststellte – und seitdem nicht müde wird zu betonen, sobald Raue im TV auftaucht. Was oft der Fall ist. Wirklich oft. Die Koch- und Quiz-Show-Teilnahmen mögen aus Eigenmarketing-Gründen unentbehrlich sein, bergen aber Risiken, sobald der Chef oft außer Haus is(s)t: So verlor der omnipräsente Frank Rosin im vergangenen Jahr einen seiner zwei Sterne.

In der Games-Industrie haben Plaketten, Sterne, Prozente, Pokale und Wimpel ihren (Stellen-)Wert messbar verloren. Klar, die Freude ist immer noch überschwänglich, wenn der Name des eigenen Studios beim Deutschen Computerspielpreis oder bei den The Game Awards aufgerufen wird – umgekehrt wird man nicht wenige in der Branche finden, die sich von Gremien höchst unfair behandelt fühlen. Die Chiffre, wonach es „das Team SO SEHR verdient hätte“, zeigt: Natürlich nagt es am Ego, wenn man zum wiederholten Male leer ausgeht. Zur Wahrheit gehört aber auch: Weil Preise in der Regel posthum verliehen werden, sind die Auswirkungen auf Ab- und Umsatz meist überschaubar.

Ganz anders vor 10, 20, 30 Jahren: In meiner aktiven Zeit als Spielekritikerin waren ‚Awards‘ und ’90er‘ zwar nicht die, aber sehr wohl mit-entscheidende Währung. Teils haben Publisher die Produktion von Verpackungen gestoppt oder verschoben, um die ersehnte Auszeichnung noch auf die Vorderseite zu packen. Was wiederum erklärt, warum der immense Druck, der bei den hiesigen Niederlassungen mit Blick auf die Pre-Order-Bereitschaft des Handels und absurde Vorgaben internationaler Headquarter vorherrschte, seitens der PR- und Marketing-Abteilungen ungefiltert an die Redaktionen weitergegeben wurde.

Zum Einsatz kam der komplette Besteckkasten an subtilen Drohungen und offen exekutierten Strafmaßnahmen: Wenn zwischen Wertungs-Erwartung und -Ergebnis ein Delta klaffte, wurden ganze Werbekampagnen vorzeitig annulliert und das Budget in vermeintlich freundlich gesonnenere Kanäle umgeleitet. Auch schön: In der irrigen Annahme, dass zwischen den Chefredaktionen konkurrierender Verlage keine Kommunikation stattfindet, hat man gezielt frei erfundene Fantasie-Wertungen und -Einschätzungen der Mitbewerber gestreut – und so versucht, die Preise (genauer: die Wertungen) nach oben zu treiben. Die Methode funktionierte zwar nur so mittelgut, probiert wurde es trotzdem.

Diese wilden Zeiten sind glücklicherweise vorbei – die Vermarktung von Games funktioniert längst nach anderen, neuen und ja: komplexeren Spielregeln. Zwar gibt es immer noch die schöne Tradition des ‚Accolade-Trailers‘, der Auszeichnungen und zuvorkommende Besprechungen von Fachpresse und Influencern abspult. Auch Metacritic als Wertungs-Aggregator hat weiterhin eine Bedeutung, wie sich in Geschäftsberichten und Analysten-Gesprächen großer Publisher besichtigen lässt. Doch die wesentlichen Kennzahlen sind andere – Wishlist-Einträge bei Steam, Trailer-Abrufzahlen, die Resonanz in der Softlaunch-Phase.

Von der Dönerbude, dem örtlichen Edel-Italiener und soliden gutbürgerlichen Wirtshäusern lassen sich Sterne-Butzen im Übrigen dadurch unterscheiden, dass man dort nicht „Guten Appetit!“ oder „Lassen Sie sich’s schmecken“ wünscht. Sondern: „Viel Spaß!“.

Und genau den wünsch ich Ihnen auch zum Start ins zweite EM-Wochenende.

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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2 Kommentare

  1. Der Ausgangspunkt, der hier aufgefahren wird, ist leider faktisch fehlerhaft. Klar gibt es ind er Spieleszene keine Fachjuries mehr welche über den Aufstieg und Falle eines Spiels und damit die finanzielle Zukunft eines Studios entscheiden. Anders als beid er Sternegastronomie gibt es aber sehr wohl die Rezensionen der Nutzer, wie bereits erwähnt Metacritic und andere konsumentenbasierte Platformen welche dem Guide Michelin nahekommen, wenn nicht sogar übertreffen.

    Ein falsches Update, eine Fehlentscheidung und die Nutzerwertungen rutschen von Sehr- oder Großenteils Positiv in das Gegenteil und das bedeutet Verkaufsstopp bis die Sache behoben wurde oder eben der Umsatz bricht weg. Auch hier müssen Spiele ganzjährig abliefern oder werden schneller als es der Guide Michelin kann abgestraft.

    • Der Unterschied ist: Spiele-Hersteller haben die Chance, permanent zu korrigieren – im Kleinen wie im Großen. Wäre CD Projekt Red sternegastronomisch tätig, gäb’s das Restaurant seit dem Jahreswechsel 2020/21 nicht mehr.

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